Montag, 18. November 2013
Ein ganz normaler Abend im Leben eines Busfahrers - fernab der Heimat
si.kei, 17:56h
Diese Geschichte ist schon ein paar Jahre alt. Genauer gesagt muss sie von vor 2007 sein, weil ich Ende 2006 den Arbeitgeber gewechselt habe und diese Story noch aus der Zeit davor ist. Habe sie aus den Tiefen der Sicherungskopien auf meiner externen Festplatte geholt.
Aber so oder so ähnlich ist das immer wieder in meinem Leben.
:-)
Sie lachten. Alle außer ihm. Nein, nicht alle. Der rechts von ihm saß, lachte auch nicht. Na, immerhin. Einer hatte einen Witz gemacht, auf dänisch. Überhaupt unterhielten sie sich blendend. Allerdings redeten tatsächlich nicht alle. Zwei, drei der Herren waren etwas zurückhaltender. Das half, dass er sich nicht völlig fehl am Platze fühlte.
Das war mal wieder einer dieser Abende, dachte er bei sich, wo man sich so dermaßen deplatziert vorkommen konnte, als Busfahrer. Seine Fahrgäste, lauter dänische Geschäftsmänner – ja, nicht mal eine einzige Frau war dabei! – saßen um einen großen rechteckigen Tisch herum. Er war zu spät gekommen. Ob er die falsche Uhrzeit im Kopf gehabt hatte oder ob sie einfach vergessen hatten, ihm zu sagen, dass sie das Abendessen vorgezogen hatten, wusste er nicht. Jedenfalls saßen sie schon alle da und aßen ihre Vorspeisen. Das allein könnte einem schon peinlich sein. Nicht ihm. Diesbezüglich hatte er sich schon ein dickes Fell zugelegt. Er hatte ja nicht einmal gewusst, ob er mit der Gruppe zusammen essen durfte oder sollte, oder ob er vielleicht auf eigene Faust irgendein billigeres Lokal aufsuchen sollte. Aber, so dachte er sich, wenn der Leiter der Gruppe es nicht fertig gebracht hatte, ihm im Voraus zu sagen, was Sache ist, so würde er ihn halt ganz direkt fragen.
„Guten Appetit“, wünschte er leise, als er an den Leiter herangetreten war. „Entschuldigen Sie, ich wusste nicht, dass Sie schon, ich dachte um acht. Ich werde mich separat setzen, denke ich.“
„Nein, aber natürlich, Entschuldigung, Sie habe ich vergessen, bitte setzen Sie sich doch zu uns!“ Die Antwort klang echt, und so wollte er auch nicht nachtragend sein, hatte sich gesetzt und die Karte studiert.
Nun starrte er abwechselnd auf seine Hände und auf die Bilder an der gegenüberliegenden Wand. Er konnte hier am Tisch auch nicht anfangen, mit seinem Handy SMS zu schreiben oder Sudoku zu spielen, wie er es sonst tat, wenn er allein in einem Lokal saß und aufs Essen wartete. Das wäre hier unhöflich gewesen. Aber war es nicht auch unhöflich, wenn in einer Sprache gesprochen wurde, die nicht jeder am Tisch verstand?
Was soll’s, er war es ja gewöhnt. Vom Aufenthaltsraum seiner Firma. Da war es halt Kroatisch statt Dänisch, aber das machte keinen großen Unterschied.
Außerdem stand es einem Menschen im Allgemeinen und einem Busfahrer im Besonderen nicht schlecht an, sich in Bescheidenheit zu üben und sich nicht so wichtig zu nehmen.
So begnügte er sich damit, seine Fahrgäste unauffällig zu beobachten. Und in Gedanken schrieb er schon mal auf, was er sah und dachte, denn, so dachte er, ob sich seine Freunde oder auch die Kollegen im Büro schon jemals überlegt hatten, wie man als Busfahrer manchmal seine Abende verbringen musste? Wahrscheinlich interessierte es sie zwar nicht, aber das war ihm egal. Er hatte gerade nichts besseres zu tun.
Die Vorspeise ließ er aus. Erstens waren die anderen gerade damit fertig, zweitens wollte er wie immer, wenn à la carte gegessen wurde, nicht so viel essen – man muss schließlich nicht alles ausnutzen, was geht, sonst braucht man sich nicht zu wundern, wenn man auch immer weniger geboten bekommt – und drittens hatte ihn schon eine Nachspeise aus der Karte angelacht.
Sie sahen wirklich irgendwie dänisch aus. Im positivsten Sinne. Irgendwie sympathisch. Anders als Südländer. Nicht, dass die nicht sympathisch aussehen würden, aber – er wusste selber nicht genau, was es war. Vielleicht sahen sie bescheiden aus. Keiner trug seine Nase zu hoch. Sich nicht so wichtig nehmen, vielleicht war es das. Dabei haben solche Menschen ein besseres, ein gesünderes Selbstbewusstsein als die (Vor-) Lauten und als die, die meinen, ihre Ehre verteidigen zu müssen. Aber das führt jetzt zu weit, dachte er, außerdem sind solche Pauschalisierungen oft nicht wirklich korrekt. Womöglich lag es auch mehr an ihrer gesellschaftlichen Position, als an ihrer Nationalität. Wahrscheinlich beides.
Er musste an Vibe denken. Eine der wenigen jungen Frauen, die wirklich was von ihm hielten. Ohne dabei auch nur im Entferntesten seiner lieben Frau und Mutter seiner wunderbaren Kinder gefährlich zu werden.
Vibe war auch Dänin. Er hatte sie auf einer Fahrt kennen gelernt, vor ein paar Jahren, mit dänischen Architekturstudenten. Und manchmal – viel zu selten, schrieben sie sich noch Emails. Sie hatte auch dieses sympathische Bescheidene.
Er schwitzte. Sein Schweinesteak war gut, noch besser war die Pfeffersoße dazu, aber so scharf, dass es ihm das Wasser aus den Poren trieb. Er musste knallrot sein, das spürte er. Nur gut, dass er hier kaum beachtet wurde.
Er konnte sein Steak tatsächlich genießen. Trotz der widrigen Umstände. Die waren halt der Preis, dachte er sich, für dieses hervorragende Essen. Dafür musste er schließlich nichts dafür zahlen.
Einer hatte ihn kurz angesprochen, der links von ihm.
„Jetzt kriegen Sie eine unfreiwillige Lektion in Dänisch“, hatte der gesagt. Aber eine lange Konversation wurde daraus natürlich auch nicht. Obwohl, wenn er gewollt hätte, hätte er jetzt von seinen Urlauben in Dänemark erzählen können und dass er damals sogar ein paar Wörter gelernt hatte. Und dass er Legoland so toll gefunden hatte, was es damals ja wirklich nur in Dänemark gab. Aber er hatte sich bereits so mit seiner Rolle als stiller „Danebensitzer“ abgefunden, dass er schon gar keine Lust mehr auf Konversation hatte. Aber er freute sich über die nette Geste seines linken Nachbarn.
Es hätte ja auch alles noch schlimmer sein können. Sie hätten ihn ja auch alle anschauen können, etwas auf dänisch sagen und dann alle laut lachen. Nein, nicht wirklich. Nicht Dänen. Die hatten noch die gute Erziehung, die er bei den Deutschen inzwischen arg vermisste. Sie wussten sogar, wie man nach dem Essen das Besteck auf den Teller legt! Er traute seinen Augen kaum. Messer und Gabel lagen parallel, die Schneide des Messers zeigte zum eigenen Körper, nicht zum Gegenüber, und war durch die Gabel geschützt. Bei allen! Wann hatte er zuletzt eine Gruppe gehabt, die das so konsequent gemacht hatte? Parallel schafften ja noch einige, aber das mit der Schneide wusste kaum mehr einer.
Er musste an die rumänischen Geschäftsleute denken, mit denen er mal Mittag gegessen hatte. Wie Kraut und Rüben lag da das Besteck herum. Wohlgemerkt Geschäftsleute – nicht Straßenkinder!
Aber er war eigentlich viel zu gut drauf, als dass er sich jetzt in solch ärgerliche Gedanken hineinsteigern würde. Außerdem waren die hier ja scheinbar voll in Ordnung. Und das Essen war phantastisch. Vielleicht zeigte auch das Bier, das er trank, langsam seine Wirkung, jedenfalls fing er an, sich richtig wohl zu fühlen.
Sie nahmen tatsächlich ein Dessert. Nicht alle, aber einige. Und die anderen einen Kaffee und zwei Asbach und noch einen Kaffee. Da konnte er sich auch das Schoko-Minz-Parfait auf Kirsch-Ragout genehmigen, dass ihn schon angelacht hatte.
Der krönende Abschluss eines Abends, den man zwar insgesamt besser hätte verbringen können, aber wohl kaum mit besserem Essen.
Aber so oder so ähnlich ist das immer wieder in meinem Leben.
:-)
Sie lachten. Alle außer ihm. Nein, nicht alle. Der rechts von ihm saß, lachte auch nicht. Na, immerhin. Einer hatte einen Witz gemacht, auf dänisch. Überhaupt unterhielten sie sich blendend. Allerdings redeten tatsächlich nicht alle. Zwei, drei der Herren waren etwas zurückhaltender. Das half, dass er sich nicht völlig fehl am Platze fühlte.
Das war mal wieder einer dieser Abende, dachte er bei sich, wo man sich so dermaßen deplatziert vorkommen konnte, als Busfahrer. Seine Fahrgäste, lauter dänische Geschäftsmänner – ja, nicht mal eine einzige Frau war dabei! – saßen um einen großen rechteckigen Tisch herum. Er war zu spät gekommen. Ob er die falsche Uhrzeit im Kopf gehabt hatte oder ob sie einfach vergessen hatten, ihm zu sagen, dass sie das Abendessen vorgezogen hatten, wusste er nicht. Jedenfalls saßen sie schon alle da und aßen ihre Vorspeisen. Das allein könnte einem schon peinlich sein. Nicht ihm. Diesbezüglich hatte er sich schon ein dickes Fell zugelegt. Er hatte ja nicht einmal gewusst, ob er mit der Gruppe zusammen essen durfte oder sollte, oder ob er vielleicht auf eigene Faust irgendein billigeres Lokal aufsuchen sollte. Aber, so dachte er sich, wenn der Leiter der Gruppe es nicht fertig gebracht hatte, ihm im Voraus zu sagen, was Sache ist, so würde er ihn halt ganz direkt fragen.
„Guten Appetit“, wünschte er leise, als er an den Leiter herangetreten war. „Entschuldigen Sie, ich wusste nicht, dass Sie schon, ich dachte um acht. Ich werde mich separat setzen, denke ich.“
„Nein, aber natürlich, Entschuldigung, Sie habe ich vergessen, bitte setzen Sie sich doch zu uns!“ Die Antwort klang echt, und so wollte er auch nicht nachtragend sein, hatte sich gesetzt und die Karte studiert.
Nun starrte er abwechselnd auf seine Hände und auf die Bilder an der gegenüberliegenden Wand. Er konnte hier am Tisch auch nicht anfangen, mit seinem Handy SMS zu schreiben oder Sudoku zu spielen, wie er es sonst tat, wenn er allein in einem Lokal saß und aufs Essen wartete. Das wäre hier unhöflich gewesen. Aber war es nicht auch unhöflich, wenn in einer Sprache gesprochen wurde, die nicht jeder am Tisch verstand?
Was soll’s, er war es ja gewöhnt. Vom Aufenthaltsraum seiner Firma. Da war es halt Kroatisch statt Dänisch, aber das machte keinen großen Unterschied.
Außerdem stand es einem Menschen im Allgemeinen und einem Busfahrer im Besonderen nicht schlecht an, sich in Bescheidenheit zu üben und sich nicht so wichtig zu nehmen.
So begnügte er sich damit, seine Fahrgäste unauffällig zu beobachten. Und in Gedanken schrieb er schon mal auf, was er sah und dachte, denn, so dachte er, ob sich seine Freunde oder auch die Kollegen im Büro schon jemals überlegt hatten, wie man als Busfahrer manchmal seine Abende verbringen musste? Wahrscheinlich interessierte es sie zwar nicht, aber das war ihm egal. Er hatte gerade nichts besseres zu tun.
Die Vorspeise ließ er aus. Erstens waren die anderen gerade damit fertig, zweitens wollte er wie immer, wenn à la carte gegessen wurde, nicht so viel essen – man muss schließlich nicht alles ausnutzen, was geht, sonst braucht man sich nicht zu wundern, wenn man auch immer weniger geboten bekommt – und drittens hatte ihn schon eine Nachspeise aus der Karte angelacht.
Sie sahen wirklich irgendwie dänisch aus. Im positivsten Sinne. Irgendwie sympathisch. Anders als Südländer. Nicht, dass die nicht sympathisch aussehen würden, aber – er wusste selber nicht genau, was es war. Vielleicht sahen sie bescheiden aus. Keiner trug seine Nase zu hoch. Sich nicht so wichtig nehmen, vielleicht war es das. Dabei haben solche Menschen ein besseres, ein gesünderes Selbstbewusstsein als die (Vor-) Lauten und als die, die meinen, ihre Ehre verteidigen zu müssen. Aber das führt jetzt zu weit, dachte er, außerdem sind solche Pauschalisierungen oft nicht wirklich korrekt. Womöglich lag es auch mehr an ihrer gesellschaftlichen Position, als an ihrer Nationalität. Wahrscheinlich beides.
Er musste an Vibe denken. Eine der wenigen jungen Frauen, die wirklich was von ihm hielten. Ohne dabei auch nur im Entferntesten seiner lieben Frau und Mutter seiner wunderbaren Kinder gefährlich zu werden.
Vibe war auch Dänin. Er hatte sie auf einer Fahrt kennen gelernt, vor ein paar Jahren, mit dänischen Architekturstudenten. Und manchmal – viel zu selten, schrieben sie sich noch Emails. Sie hatte auch dieses sympathische Bescheidene.
Er schwitzte. Sein Schweinesteak war gut, noch besser war die Pfeffersoße dazu, aber so scharf, dass es ihm das Wasser aus den Poren trieb. Er musste knallrot sein, das spürte er. Nur gut, dass er hier kaum beachtet wurde.
Er konnte sein Steak tatsächlich genießen. Trotz der widrigen Umstände. Die waren halt der Preis, dachte er sich, für dieses hervorragende Essen. Dafür musste er schließlich nichts dafür zahlen.
Einer hatte ihn kurz angesprochen, der links von ihm.
„Jetzt kriegen Sie eine unfreiwillige Lektion in Dänisch“, hatte der gesagt. Aber eine lange Konversation wurde daraus natürlich auch nicht. Obwohl, wenn er gewollt hätte, hätte er jetzt von seinen Urlauben in Dänemark erzählen können und dass er damals sogar ein paar Wörter gelernt hatte. Und dass er Legoland so toll gefunden hatte, was es damals ja wirklich nur in Dänemark gab. Aber er hatte sich bereits so mit seiner Rolle als stiller „Danebensitzer“ abgefunden, dass er schon gar keine Lust mehr auf Konversation hatte. Aber er freute sich über die nette Geste seines linken Nachbarn.
Es hätte ja auch alles noch schlimmer sein können. Sie hätten ihn ja auch alle anschauen können, etwas auf dänisch sagen und dann alle laut lachen. Nein, nicht wirklich. Nicht Dänen. Die hatten noch die gute Erziehung, die er bei den Deutschen inzwischen arg vermisste. Sie wussten sogar, wie man nach dem Essen das Besteck auf den Teller legt! Er traute seinen Augen kaum. Messer und Gabel lagen parallel, die Schneide des Messers zeigte zum eigenen Körper, nicht zum Gegenüber, und war durch die Gabel geschützt. Bei allen! Wann hatte er zuletzt eine Gruppe gehabt, die das so konsequent gemacht hatte? Parallel schafften ja noch einige, aber das mit der Schneide wusste kaum mehr einer.
Er musste an die rumänischen Geschäftsleute denken, mit denen er mal Mittag gegessen hatte. Wie Kraut und Rüben lag da das Besteck herum. Wohlgemerkt Geschäftsleute – nicht Straßenkinder!
Aber er war eigentlich viel zu gut drauf, als dass er sich jetzt in solch ärgerliche Gedanken hineinsteigern würde. Außerdem waren die hier ja scheinbar voll in Ordnung. Und das Essen war phantastisch. Vielleicht zeigte auch das Bier, das er trank, langsam seine Wirkung, jedenfalls fing er an, sich richtig wohl zu fühlen.
Sie nahmen tatsächlich ein Dessert. Nicht alle, aber einige. Und die anderen einen Kaffee und zwei Asbach und noch einen Kaffee. Da konnte er sich auch das Schoko-Minz-Parfait auf Kirsch-Ragout genehmigen, dass ihn schon angelacht hatte.
Der krönende Abschluss eines Abends, den man zwar insgesamt besser hätte verbringen können, aber wohl kaum mit besserem Essen.
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