Montag, 20. Mai 2013
Mein Kirchentag 2013 in Hamburg
Kirchentag 2013 in Hamburg

Mittwoch, 1. Mai, Dreiviertel acht. Am Bahnhof finden sich etwa 20 Jugendliche, Pfarrerin Murner und ich ein.
Wir freuen uns auf den 34. Evangelischen Kirchentag in Hamburg. Es ist mein 11. Im Sommer ’89 in Berlin (West) war ich als Sechzehnjähriger zum ersten Mal dabei gewesen. Nur 2005, ’07 und ’09 habe ich ausgelassen, zum einen, weil sich bei mir eine gewisse Sättigung eingestellt hatte, zum anderen, weil mein Chef nicht begeistert ist, wenn wir Busfahrer im Frühsommer Urlaub nehmen.
Doch als ich 2010 beim Ökumenischen Kirchentag in München zwei einzelne Tage in die Kirchentags-Welt eintauchte, habe ich wieder Blut geleckt: Vor zwei Jahren war ich in Dresden und nun selbstverständlich in Hamburg. Da muss mein Chef halt jetzt wieder alle zwei Jahre durch…
Leider hatte ich (mal wieder) zu spät damit angefangen, das umfangreiche Programm mit den 2000 Veranstaltungen durchzusehen. Das kann man wie seit eh und je in Papierform, aber seit Neuestem auch online und per Smartphone-App. Bei den beiden letzten Versionen kann man gezielt nach Schlagwörtern wie ‚Gospel’ oder nach Personen wie ‚Gauck’, ‚Käßmann’ oder ‚von Hirschhausen’ suchen.
Ich habe mir im Laufe der Jahre jedoch angewöhnt, das komplette Programm durchzusehen, alles zu markieren, was mich irgendwie interessiert (selbst wenn davon vieles gleichzeitig stattfindet) und dann Prioritäten zu vergeben, um die Veranstaltungen, die mir am wichtigsten sind, möglichst nicht zu verpassen. So bleibe ich flexibel, wenn eine favorisierte Veranstaltung überfüllt ist und ich kann schnell feststellen, ob ich etwas auf meiner persönlichen Liste habe, das vielleicht auch andere aus der Pfaffenhofener Gruppe interessiert.
Flexibel bleiben ist überhaupt wichtig auf Kirchentagen, nicht frustriert sein, wenn man vieles nicht schafft und auch Zeiten wahrnehmen, um sich auszutauschen und manches einfach setzen zu lassen. Das ‚Jetzt’ genießen an Alster oder Elbe, auf der Wiese vor dem Michel, dem Hamburger Wahrzeichen, oder auf den Promenaden der nagelneuen Hafen-City rund um die ewige Baustelle ‚Elb-Philharmonie’.
Die Zugfahrt verlief gut und schnell. Ich hatte das unverdiente Privileg, zwei Plätze für mich zu haben, da die Jugendlichen lieber auf- und übereinander saßen, als zu weit ab vom Schuss zu sein.
Unsere Unterkunft hätte kaum besser sein können. Noch nie war ich bei einem Kirchentag so zentral einquartiert und auch die Anzahl der mit uns in der kleinen Schule Untergebrachten war übersichtlich genug, dass man morgens an den wenigen Duschen im separaten Sport-Gebäude nicht Schlange stehen musste. Aber der Clou war: Die beiden Klassenzimmer, in denen wir brav nach Geschlecht getrennt nächtigen sollten, hatten ein kleines, durch eine Fensterfront vom Hauptraum getrenntes Separee. Und nachdem sich die Jungs bereits im Raum verteilt hatten, erhob niemand Einspruch, als ich als deutlich Ältester um diesen Nebenraum bat. Sogar ein kleines Waschbecken befand sich dort, das aber selbstverständlich von allen benutzt wurde. So hatte ich gleichzeitig ein gewisses Gemeinschaftsgefühl, das einem entgeht, wenn man einzeln bei Privat-Leuten übernachtet, und dennoch ein Einzelzimmer. Ich war begeistert!
Die Eröffnungsgottesdienste fanden an vier verschiedenen Orten statt. Während die anderen Pfaffenhofener den örtlich nächsten an der Reeperbahn wählten, verabredete ich mich am Fischmarkt mit meinem Cousin Lars aus Kiel, den ich naturgemäß selten, manchmal über Jahre hinweg nicht sehe.
Predigttext war die Manna-Geschichte aus 2. Mose 16, der auch das diesjährige Kirchentags-Motto entnommen war: „Soviel du brauchst“.
War es eigentlich Zufall, dass ich für die Kollekte dieses Gottesdienstes ausgerechnet ein 2-Euro-Stück aus dem Geldbeutel fischte, auf dem der Hamburger Michel abgebildet war?!?
Mit Lars, seiner Frau und ihren Hamburger Freunden, bei denen sie während des Kirchentages Unterschlupf gefunden haben, verbrachte ich dann auch den Rest des Abends, zunächst abseits des Kirchentagsgeschehens in einer kleinen Bar an der Elbe, später bei Johnny Logan am Rathausmarkt und beim Abendsegen an der Alster mit Lichtermeer aus unzähligen Kerzen. Schließlich wollten wir uns bei einem ‚Absacker’ noch ein wenig unterhalten. Dabei hatten wir so tiefgründige Gespräche, die man bei herkömmlichen Familientreffen selten hat, sodass es für mich richtig knapp wurde, unsere Schule zu erreichen, bevor sie um ein Uhr abgeschlossen wurde. Natürlich war der Akku meines Smartphones leer und natürlich hatte ich den konventionellen Stadtplan aus Fleisch und Blut, ich meine aus Papier und Farbe nicht dabei. Ich wurde zunehmend nervös und beschloss schließlich um zwanzig vor eins, ein Taxi zu nehmen. Die Kosten dafür hielten sich aber Dank der bereits erwähnten zentralen Lage unserer Schule in Grenzen.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, am ‚Abend der Begegnung’, wie der erste Abend eines jeden Kirchentages heißt, nicht sehr ‚alt zu werden’, aber nun war ich doch der Letzte, der sich auf seine Luftmatratze legte.

Die meisten Veranstaltungen eines Kirchentages finden an den Tagen 2 bis 4 statt. Konzerte in den unterschiedlichsten Musikrichtungen, zum Mitsingen oder nur zum Zuhören, politische und ethische Diskussionen, viele Filme (natürlich eher solche, die auf ARTE laufen würden, als auf RTL2), theologische Vorträge, vierstündige Pilger-Wanderungen, Kabarett-Programme (nicht nur mit so Namhaften wie Eckart von Hirschhausen), spirituelle Workshops, thematische Stadtführungen, Gottesdienste für Motorradfahrer, für Jugendliche, für Eltern, die ein Kind verloren haben, für Frischverliebte – da ist für jeden etwas dabei! Und im Laufe der Jahre und mit zunehmendem Alter ändern sich die Interessen natürlich, so habe ich 1989 ganz andere Veranstaltungen besucht als 2013. Aber immer noch finde ich im Programm viel mehr als ich während der paar Tage wahrnehmen kann.
Eine Bibelarbeit, in der jeweils um halb zehn mehr oder weniger bekannte Personen den Tages-Bibelvers auslegen, schenke ich mir heute noch. Der Rock-Gottesdienst, den sich einige Jugendliche ausgesucht haben, steht zwar auch auf meiner Favoriten-Liste, aber ich möchte lieber um elf zu einer Diskussion auf dem Messegelände über den Zustand unserer Gesellschaft, bei der unser Bundespräsident Gauck auf dem Podium sitzen wird. Und beides haut nicht hin.
Bis dahin nutze ich die Zeit, durch die Kirchentagsbuchhandlung zu schlendern. Hier muss ich mich immer sehr bremsen. Zu viele schöne und eben auch sinnvolle Dinge findet man hier. Klar, Bücher natürlich, zum Nachdenken über sich, über Gott und über die Welt, aber auch Postkarten mit mehr oder weniger frommen Sprüchen, Schlüsselanhänger in Fisch- oder Kreuzform, Frühstücksbrettchen mit Segensspruch oder ohne, Aufkleber, biblische Rätsel, und, und, und. Ein paar Mitbringsel für meine Kinder sind schnell gefunden und ich mache mich auf den Weg zu Halle B5. Dabei laufe ich einem Bekannten über den Weg. Martin ist Forstwissenschaftler in Montana, USA, saß vor zwei Jahren mit anderen amerikanischen Forstleuten in einem von mir gelenkten Bus, um sich die vorbildlichen bayerischen Wälder anzusehen, stammt aus Niedersachsen, und ‚nebenbei’ ist er Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages… Die Welt ist klein.
Halle B5 ist überfüllt. Natürlich, dort hält eine gewisse Frau Käßmann gerade eine der heutigen Bibelarbeiten. Vor dem Eingang bereits eine beachtliche Zahl Menschen, die wohl der aussichtslosen Hoffnung sind, nach der Bibelarbeit würden genügend Zuhörer die Halle verlassen, damit sie zu Gauck hineinkommen. Es verbreitet sich die Kunde, die Gauck-Veranstaltung würde nach außen übertragen. Ich suche mir ein Plätzchen auf dem Boden vor den Lautsprechern. Schön, dass so gutes Wetter ist.
Ich habe richtig geschätzt: Von den etwa 5000 Menschen verlassen die Halle ungefähr 20 nach der Bibelarbeit und ebenso viele werden hinein gelassen.
Leider ist die Übertragungsqualität über die Lautsprecher katastrophal, sodass ich nach zehn Minuten beschließe, dass ein Bleiben keinen Sinn macht. Gerade stehe ich auf, da läuft mir Martin wieder über den Weg und meint, ich solle noch ein paar Minuten Geduld haben, er kümmere sich gerade um das Lautsprecher-Problem. Martin sollte Recht behalten und ich konnte ein interessantes und amüsantes Podium erleben. Neben Gauck saßen der bei ‚Wetten dass’ verunglückte Samuel Koch, der seitdem querschnittsgelähmt ist und ein ungeheuer sympathischer Mensch, der mir bis dahin unbekannt war: Rainer Schmidt ist evangelischer Pfarrer, Kabarettist und ein Ausnahmetalent im Tischtennis. Ihm fehlen beide Unterarme, an einem Oberarm hat er einen einzelnen Daumen, für den er dankbarer ist, als die meisten Menschen für ihre beiden intakten Hände. Er ist Paralympics-Goldmedaillengewinner und versprüht einen unglaublichen Humor. Er beschreibt anschaulich den Schrecken seiner Eltern bei seiner Geburt, aber auch ihre Angst und Unsicherheit. Dann wieder lästert er über seine Schwester, die nicht singen kann, aber trotzdem in unserer Gesellschaft nicht als behindert gilt. Man spürt deutlich, die Welt wäre um einen wunderbaren Menschen ärmer, wenn Rainer Schmidt Dank vorgeburtlicher Früherkennung (die es zu seiner Zeit noch nicht gab) abgetrieben worden wäre. Das Ganze wird in erfrischender Art und ohne Berührungsängste moderiert von Markus Lanz.
Das hat sich schon mal gelohnt und ich mache mich auf den Weg zum Tibetischen Zentrum, wo ich nachmittags einen Beitrag über Jesus und Buddha hören möchte.
Eine App auf meinem Smartphone sagt mir nach Eingabe der Adresse, welche U-Bahnen ich nehmen und wie ich die letzten paar Meter zu Fuß zurücklegen muss.
Ich habe Glück, der relativ begrenzte Raum ist zwar bereits überfüllt, aber es werden vor den Fenstern Bänke aufgestellt und man versteht auch dort recht gut, was drinnen gesprochen wird. Wieder ist es schön, dass so gutes Wetter ist.
Nach einer kleinen Meditation stellen sich die beiden Referenten, ein Pastor und ein Buddhismus-Lehrer vor und berichten von ihren Erfahrungen im interreligiösen Dialog, auch mit Muslimen und Angehörigen anderer Religionen. Dann geht es um die Parallelen von Jesus und Buddha, und dabei hauptsächlich beim Thema Liebe (im Sinne der Nächstenliebe). Trotz des interessanten Themas und des vor der Veranstaltung getrunkenen Red Bulls spüre ich deutlich die ‚Nachmittags-Delle’ und fürchte schon, bei der angekündigten Abschluss-Meditation einzuschlafen. Doch das ist vollkommen unbegründet: Obwohl ich gänzlich ungeübt im Meditieren bin und meine Gedanken des Öfteren abschweifen, bin ich dabei hellwach und das sogar für den restlichen Tag (ohne weitere Koffein-Zufuhr). Das bestärkt mich in meiner Absicht, die Kunst des Meditierens zu lernen.
Als letztes besuche ich an diesem Tag ein Gospel-Konzert, zu dem ich mich wieder mit meinem Cousin verabredet habe.

Am Freitag hatte mich eigentlich eine kabarettistische Bibelarbeit mit eben dem gestern kennen gelernten Rainer Schmidt angelacht, aber mir ist wieder eine Veranstaltung um elf so wichtig, dass ich vorher nicht genügend Zeit für etwas anderes habe.
Vor zwei Jahren in Dresden sind mir ‚Die Perlen des Lebens’ oder auch ‚Perlen des Glaubens’ zum ersten Mal begegnet. Ein kleines Band mit achtzehn Perlen, vielleicht vergleichbar mit dem katholischen Rosenkranz, mit denen man meditieren kann. Zwischenzeitlich hatte ich sie vergessen, doch nun wollte ich an einem Einführungs-Workshop mit diesen Perlen teilnehmen.
Diese Veranstaltung riss mich nicht vom Hocker, da ich doch einiges schon wusste, aber sie hat mir das Perlenband wieder ein gutes Stück näher gebracht. Die Gottes-Perle, die Perlen der Stille, die Ich-Perle, usw. Ich blieb auch gleich noch zum Mittagsgebet in dieser Kirche, wo es während der gesamten drei Tage nur um die ‚Perlen des Glaubens’ ging.
Nun hatte ich einen ganz persönlichen Tagesordnungspunkt auf meiner Agenda. Ich liebäugel seit einigen Jahren mit der Partei der Grünen. Vor allem die Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt finde ich außerordentlich gut. Sie ist evangelisch, war mal im Präsidium des Kirchentags und auch in Hamburg wieder mit ein paar Veranstaltungen präsent. Zufällig hat sie heute Geburtstag und gestern auf Facebook versprochen, jeden, der an diesem Tag einen Mitgliedsantrag unterschreibt, im Laufe des Jahres persönlich zum Kaffee einzuladen. Das war genau das i-Tüpfelchen, das ich gebraucht habe: Auf dem Kirchentag und am Geburtstag dieser tollen Frau.
So suchte ich auf dem ‚Markt der Möglichkeiten’ den Stand der ‚ChristInnen bei den Grünen’ und unterschrieb. KGE war natürlich an ihrem Geburtstag nicht selber da, dafür eine gute Bekannte von Frau Murner, die ich herzlich von ihr grüßte.
Den ‚Markt der Möglichkeiten’ kann man sich vorstellen wie die ‚free’ oder eine andere herkömmliche Messe. Hier hat jede christliche Vereinigung ihren Stand, Umweltorganisationen, Sozialverbände und viele andere, die irgendwie mit einem christlichen Leben in Zusammenhang gebracht werden können.
Als ich mich auf einem der zahlreichen Papp-Hocker niederließ, um in Ruhe meine weiteren Pläne zu studieren, begann auf einem kleinen Podium eine Diskussion. ‚Die LINKE und ihr Glaube’ nannte sie sich. Allerdings würde ich die Beiträge von Gregor Gysi und den drei anderen, die da saßen, als komplette Thema-Verfehlung beurteilen, da es mal wieder ausschließlich um Geld ging. Sie sagen ja oft richtige Dinge, besonders Gregor Gysi schätze ich durchaus als intelligenten Analytiker der Probleme in unserer Gesellschaft, aber das hatte halt einfach nichts mit ‚Glaube’ zu tun, fand ich. Und da ich das meiste schon wusste, was hier erzählt wurde, stand ich auf und ging.
Ich hatte beschlossen, mir einmal die neue, aus dem Boden, nein, aus der Elbe gestampfte Hafen-City rund um die Dauer-Baustelle der Elb-Philharmonie anzusehen. Das Wetter war toll und ich war ansonsten etwas planlos. Ich beendete meinen Spaziergang an einer Open-Air-Bühne, wo es um die Chancen und die Gefahren von Sozialen Medien ging.
Einer der Talk-Gäste hier war Nicholas Baines, genannt Nick, Bischof von Bradford, England, der täglich eine gewisse Zeit mit Sozialen Netzwerken verbringt, unter anderem mit seinem eigenen Blog.
Und wen traf ich dort auf den Stufen der Magellan-Terassen – heute, ohne dass wir uns verabredet hatten? – Meinen Cousin Lars mit seiner Frau Brigitte. Zwar wollte ich deren Tochter Laila, die in Sevilla studiert und nur für zwei Tage nach Hamburg kommen wollte (nebenbei erwähnt ist sie die Patin eines unserer Kinder), im Laufe des Abends noch treffen, aber das war unabhängig von ihren Eltern geplant, die ihrerseits eigentlich zu dem großen Konzert der Wise Guys wollten. Das hatte ich zwar auch auf meinem Plan, und fast alle übrigen Pfaffenhofener wollten dort hin, doch Laila ging für mich vor.
Laila und Brigitte beschlossen, das Konzert auch sausen zu lassen, zumal sie bereits Karten für ein Konzert der Wise Guys in Kiel in ein paar Wochen hatten, und wir verbrachten einen weiteren Abend miteinander, diesmal mit Laila, ihrem Bruder Lennart und dessen Freundin am Elbstrand, wo wir mit einer öffentlichen Schiffs-Linie hinfuhren.

Samstagmorgen musste aber nun doch eine Bibelarbeit sein. Dank Eckart von Hirschhausen, der auch etliche Pfaffenhofener anzog und dessen Halle schon lange vor Beginn wegen Überfüllung geschlossen wurde, bekam ich in der Halle von Katrin Göring-Eckardt gut einen Platz. Es ging um die Speisung der 5000, in diesem Fall bei Johannes. KGE zog Parallelen zur Manna-Geschichte der Eröffnungsgottesdienste, aber auch zu den heutigen, manchmal aussichtslos scheinenden Problemen. Die Geschichte soll Mut machen, einfach mal mit fünf Broten und zwei Fischen anzufangen, Gott wird das Seinige dann dazu tun. Ein paar kleine Seitenhiebe auf die aktuelle Politik waren dabei, aber nicht zuviel.
Anschließend blieb ich noch ein bisschen in dieser Messehalle. Im hinteren Bereich war ein Parcour aufgebaut, der einem das Leben und Wirken der Theologin Dorothee Sölle nahe bringen wollte.
Ein paar Hallen weiter suchte ich nun die Stelle, an der jeweils die ‚Stadtführungen auf den Spuren des Klimawandels’ starten sollten. Leider hätte man sich dafür wegen der sehr begrenzten Kapazitäten lange vorher anmelden müssen, wie ich dort erfuhr.
In derselben Halle lief gerade eine Diskussion zu den Problemen der weltweiten Fischerei, der ich ein bisschen lauschte, bevor ich eine Halle weiter ging.
Nebenan ging es um eine ökumenische Sozialethik für das 21. Jahrhundert. Zwischendurch gaben ‚Rosi und die Knallerbsen’ ein paar Lieder zum Besten. Die Mitwirkenden, allesamt ‚Menschen mit außergewöhnlichen Beeinträchtigungen’ trafen zwar nicht jeden Ton, hatten aber sichtlich Spaß bei ihrer Darbietung.
Nun wollte ich zum ‚Michel’, der Hauptkirche Sankt Michaelis, dem bisherigen Wahrzeichen Hamburgs (und solange die Elb-Philharmonie nicht fertig wird, bleibt das wohl auch noch so).
Um dorthin zu kommen, wählte ich erstmals ein Stadtrad. Das sind die von der Deutschen Bahn an vielen Stellen aufgestellten Fahrräder, die jeder nach einer Registrierung problemlos am Terminal vor Ort oder mit Hilfe einer App ausleihen kann. Zum Kirchentag hat die Bahn die Zahl der Standorte noch mal erhöht, wie ich im Vorfeld gelesen hatte und so hatte ich mich noch zuhause online angemeldet. Die ersten 30 Minuten sind jeweils frei, dann kostet es (im Falle Hamburgs) 8 Cent pro Minute. Das Ausleihen geht wirklich ganz einfach und schnell, wie ich fasziniert feststellte. Die App zeigt einem die Standorte an, sodass auch die Rückgabe gut funktioniert.
So radelte ich von der Messe zum Michel. Schön, dass so gutes Wetter war. Dort wollte ich erstmal ganz weltlich die Aussicht vom Turm genießen und ein paar Fotos machen. Mit Kirchentags-Karte war der Turmaufstieg zwar nicht kostenlos, aber ermäßigt. Das war durchaus von Vorteil, denn sonst wäre die Schlange sicher erheblich länger gewesen.
Anschließend suchte ich mir einen Platz im Kirchenraum, wo ich die letzten Minuten einer Orgelführung mitbekam. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Musik mit diesem Instrument in den Zeiten lange bevor es Discos, Keyboards oder Verstärker gab, den Menschen geradezu göttlich vorkam. Dieser Sound, der einem durch und durch geht, wenn alle Register gezogen sind, fasziniert mich sogar heute noch, obwohl wir von Dolby Surround und Co doch alle schon so verwöhnt sind.
Die Veranstaltung, die ich mir hier im Anschluss anhören wollte, nannte sich ‚Anders wachsen – Entwickeln, was wir brauchen’ und wollte der Frage nachgehen, ob das in letzter Zeit so oft beschworene ewige Wirtschaftswachstum tatsächlich sinnvoll ist, ja ob es überhaupt möglich ist.
Leider konnte ich nicht bis zum Ende bleiben, da ich noch zu ‚Celtic Dreams’ wollte, einem Konzert mit irischen Klängen. Doch das stark akzent-lastige und für mich sehr schwer zu verstehende Englisch eines brasilianischen Professors, der gerade einen Vortrag hielt, machte es mir leichter, die Kirche Sankt Michaelis zu verlassen.
Vor der Kirche, in der das Konzert stattfinden sollte, hatten sich schon viele Menschen eingefunden, auch einige der Pfaffenhofener Jugendlichen.
Die Tontechniker hatten mit der schwierigen Akustik der modernen Kirche erhebliche Probleme, was zunächst für eine einstündige Verzögerung sorgte und schließlich sogar dazu führte, dass das Konzert ‚unplugged’ gespielt wurde, was den Klängen allerdings keinen Abbruch tat, wie auch die Musiker um Andy Lang überrascht feststellten.
Abends wollte ich eigentlich noch zu einer Veranstaltung des NDR. Andrea Sawatzki und ihr Mann Christian Berkel sollten aus dem Briefwechsel von Freya und Helmuth James von Moltke lesen. Ich war über Ostern mit meinem Vater und meinem Onkel im Rahmen einer Reise in deren Geburtsstadt Breslau auch für zwei Tage auf dem Gut Kreisau gewesen, dem letzten Sitz der Familie Moltke. Helmuth James hatte dort den ‚Kreisauer Kreis’ initiiert, eine christlich geprägte Widerstandsgruppe im Dritten Reich. Er wurde 1944 verhaftet und Anfang ’45 hingerichtet. Durch große Zufälle konnte er in diesen letzten Monaten seines Lebens jedoch brieflichen Kontakt zu seiner Frau halten. Und aus eben diesen Briefen, die ein Zeugnis schier unglaublicher Liebe zueinander und zu Gott sind, und die erst nach dem Tod Freyas 2010 veröffentlicht wurden, wurde gelesen.
Leider war ich auf Grund der Verzögerungen bei dem vorangegangenen Konzert aber hoffnungslos zu spät. So beschloss ich, stattdessen ein ganz profanes chinesisches Essen zu genießen und den programmatischen Teil des Kirchentages damit zu beenden.
Mit einem netten Gespräch auf der Bank vor unserer Unterkunft bei zwei im türkischen Kleinladen nebenan gefundenen Flaschen Münchner Augustiner ließ ich den Abend ausklingen. Steffi Brinkmann, die unsere Zwillinge aus dem Kindergottesdienst weit besser kennt als mich, half mir dabei, die beiden Flaschen nicht alleine trinken zu müssen.

Der Sonntagmorgen begann etwas früher als ich gedacht hatte, da einige Jugendliche noch unbedingt die Hamburger Attraktion ‚Fischmarkt’ erleben wollten. Einige andere blieben noch liegen und ließen sich mehr Zeit mit dem Aufbruch.
Mit letzteren suchte ich relativ gemütlich die zentrale Kirchentags-Gepäckaufbewahrung in einem am Sonntag sonst leer stehenden Parkhaus auf. Allerdings hatte sich hier bereits eine ansehnliche Schlange gebildet, sodass wir schließlich gerade noch rechtzeitig zur Predigt beim großen Schluss-Gottesdienst im Stadtpark eintrafen. Die wurde gehalten von Nicholas Baines, dem englischen Bischof, den ich schon am Freitag kennen gelernt hatte.
Mit diesen Eindrücken, bei strahlendem Sonnenschein mit tausenden anderen Menschen den Segen empfangend, Hoffnung und Zuversicht einatmend, kann ich gestärkt in den Alltag und zu meiner wunderbaren Familie zurückkehren.
Die Rückfahrt zum Hauptbahnhof gestaltete sich erheblich zügiger als ich zu träumen gewagt hatte, da zusätzlich zu den regulären U-Bahn-Verbindungen eine schier endlose Reihe Gelenkbusse (das sind die extra-langen mit dem Knick in der Mitte;-) bereitstand, um die Menschenmassen vom Stadtpark zum Hauptbahnhof zu transportieren. Wenn man diesen immensen Organisations-Aufwand und die damit verbundenen Kosten bedenkt (und die Busse mit ihren Fahrern und dem damit verbundenen Sonntags-Zuschlag(?) waren natürlich nur ein winziger Teil davon), kann man nur dankbar sein, dass die Teilnehmerkarte für den Kirchentag nur 89,- Euro kostet!
Doch auch der Deutschen Bahn möchte ich ein dickes Kompliment machen, denn auch wenn wir bei der Heimfahrt keinen ICE hatten, und unser Intercity die starken Druckschwankungen in den vielen Tunnels bei den hohen Geschwindigkeiten, die wir wohl trotzdem fuhren, nur eingeschränkt abfangen konnte – die geplante Ankunftszeit wurde auf die Minute eingehalten! Und das finde ich wegen der zahlreichen Sonderzüge nicht selbstverständlich!
Und – falls ich mich jemals gewissermaßen als etwas außen Stehender in dieser jugendlichen Pfaffenhofener Truppe gefühlt haben sollte – bei der Heimfahrt war ich bei Konfi- und anderen Spielchen mitten drin. Auch das eine schöne Erfahrung, die ich persönlich immer mit diesem Kirchentag in Erinnerung haben werde.

Interessante Links (es gäbe noch viel mehr - aber die findet Ihr auch mit Hilfe von Google & Co):
http://www.kirchentag.de/Kirchentag facebook
http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Evangelischer_Kirchentag
http://www.ndr.de/regional/hamburg/kirchentag/kirchentag755.html (Mit Bildern des Abschluss-Gottesdienstes)
http://www.perlen-des-glaubens.de/
http://www.andy-lang.de/index.php
http://de.wikipedia.org/wiki/Helmuth_James_Graf_von_Moltke
http://de.wikipedia.org/wiki/Nicholas_Baines
http://nickbaines.wordpress.com/ (nur englisch)

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