Mittwoch, 16. Januar 2013
Diese vermaledeite Go-Box!Oder:Ein weiteres Kapitel aus der Reihe„Ohne diese Sachen wäre mein Beruf einfach noch schöner!“
Ich bin auf dem Weg nach Wien. Nach mehr als drei Jahren mal wieder. Ich bin gut drauf. Die Gruppe kenne ich, zumindest zum Teil.
Grenzübergang zu Österreich. Im Gegensatz zu Deutschland sind Busse dort auf den Autobahnen mautpflichtig. Dazu ist jeder mit einer sogenannten „Go-Box“ ausgestattet. Die registriert, wenn man unter einer „Maut-Brücke“ durchfährt und davon gibt es immer je eine zwischen zwei Autobahnausfahrten. Die erste gleich ein paar hundert Meter hinter der Grenze, bevor sich die Autobahn vor Salzburg gabelt.
Die Go-Box muss dabei einmal piepsen, das signalisiert das korrekte Abbuchen des jeweiligen kilometer-abhängigen Geldbetrages.
Meine Go-Box piepst viermal! Bravo! Mal wieder! Wie oft habe ich das nun schon gehabt!
Ein viermaliges Piepsen signalisiert, dass etwas nicht in Ordnung ist und der entsprechende Betrag nicht abgebucht werden konnte. Man hat dann fünf Stunden Zeit, eine autorisierte Stelle anzufahren – meist Tankstellen an der Autobahn – um den fehlenden Betrag zu begleichen und die Go-Box in Ordnung bringen zu lassen.
Soweit wusste ich das aus der leidvollen Erfahrung einer Kollegin.
Sie war damals nur nach Salzburg gefahren, hatte also die österreichische Autobahn lediglich für ein paar Kilometer befahren. Ihre Go-Box hatte dabei viermal gepiepst, was sie aber nur zum Anlass nahm, nach ihrer Rückkunft am Betriebshof den Chef darüber in Kenntnis zu setzen. Dieser rief umgehend die ASFiNAG (keine Ahnung, was das heißt, aber das ist die Betreiber-Gesellschaft dieses Maut-Systems) an und berichtete von dem Vorfall, verbunden mit der Absichtserklärung den entsprechenden einstelligen Euro-Betrag sofort zu überweisen.
So gehe das nicht, wurde ihm erwidert. Man müsse innerhalb von einer fünfstündigen Frist mitsamt der entsprechenden Go-Box bei einer der autorisierten Stellen erscheinen. Dafür war es leider zu spät. Bums! 220,- Euro Strafe!
Wie oft ich es seitdem schon erlebt habe, dass diese vermaledeite Go-Box viermal piepste!
Und gerade mit diesem Bus war es erst zwei Jahre her gewesen! Was war bloß jetzt schon wieder?!?
Als Busfahrer möchte man ja seine Pausen-Einteilung auch ein bisschen nach den Bedürfnissen der Fahrgäste richten.
Immerhin: Die letzten paar Male war die Bearbeitung des entsprechenden Fehlers recht zügig (will heißen in unter zehn Minuten) von statten gegangen, aber ich stand auch schon mal länger als zwanzig Minuten wegen dieses Blödsinns. Und wenn dann die letzte Pause sowieso erst eine halbe Stunde her ist, sind die Fahrgäste begeistert, wie man sich vorstellen kann!
Nun gut, man hat ja fünf Stunden Zeit. Dachte ich zumindest bis dahin.
Und wir hatten sowieso noch keine Pause gemacht, also bot sich der nächste Autobahnrasthof an.
Salzburg-Nord, eine Viertelstunde „Mehrzweck-Pause“.
„Leider ist dies die einzige Raststätte in ganz Österreich, die nicht für die Go-Box autorisiert ist.“ So sagte es der Tankwart zwar nicht, aber so kam es mir vor. Jedenfalls konnte er mir nicht helfen. Toll.
Na gut, bis Wien sind es ja noch ein paar Stündchen, wir wollen ja auch mal Mittag machen – ich brauche von Gesetzes wegen irgendwann auch eine halbstündige Pause, das werden wir wohl innerhalb der fünf Stunden schaffen. Kein Stress. Und nicht in ein paar Kilometern gleich wieder eine Pause nur um den Go-Box-Fehler zu beheben.
Das ständige durchdringende viermalige Piepsen stört immerhin die Fahrgäste nicht sonderlich. Behaupten sie zumindest.
Kurz vorm Voralpenkreuz sehe ich im Rückspiegel ein Fahrzeug der ASFiNAG langsam näher kommen. Die haben sogar ein Blaulicht, um diese hochgradig kriminellen Verbrecher zu jagen, die versuchen, die Maut zu prellen. Es ist zwar nicht eingeschaltet, aber dennoch beschleicht mich eine leise Ahnung, dass die vielleicht nach mir suchen. So blicke ich sofort nach links, als sie neben mir sind. Und richtig: Sie deuten mir an, ihnen zu folgen.
Man muss nämlich wissen, dass an einigen dieser Maut-Brücken auch Video-Kameras installiert sind, um Maut-Preller zu entlarven. Big Brother is watching us.
Ich glaube immer noch, alles korrekt gemacht zu haben.
Die beiden Herren werfen mir freundlich, aber bestimmt an den Kopf, ich würde ihre Autobahn befahren, ohne dafür zu bezahlen.
Ich schildere ihnen unseren ersten vergeblichen Versuch, den Fehler zu beheben, lasse die Fahrgäste der ersten Reihe bezeugend mit dem Kopf nicken und verweise auf die fünf Stunden, die man doch Zeit habe.
„Ja, fünf Stunden“, bestätigen sie, „Aber nicht mehr als hundert Kilometer.“
Oh.
„Ach du Schreck! Das wusste ich nicht!“ entfährt es mir. Und: „Ich kann doch nicht alle paar Minuten Pause machen. Ich war der felsenfesten Überzeugung, ich könnte das in der Mittagspause erledigen, die wir sowieso noch vor Wien einlegen werden.“
Die Herren sind milde gestimmt. Sie verweisen mich auf die nächste Raststätte in ein paar Kilometern und wünschen mir Glück.
Wie meinen die das?
Der Tacho zeigt achtundneunzig Kilometer seit der Grenze. Bis zum Rastplatz sind es noch fünf Kilometer.
Zweihundertzwanzig Euro. Ich fange schon an, mich mit dieser Strafe abzufinden Und hadere mit den Umständen.
Wenn ich ein Spitzbube wäre. Wenn ich’s immer drauf anlegen würde. Wenn ich nicht ständig darauf bedacht wäre, alles korrekt zu machen. Es möglichst vielen recht zu machen.
Die Frau in der Tankstelle wird keine Wahl haben. Der Computer wird ihr anzeigen: 103km – 220,- Euro Strafe. Kein Ermessensspielraum. Bums.
Warum? Wir hätten doch sowieso keine Chance, die Maut zu prellen. Die haben die Daten meines Chefs. Der hat noch andere Busse dort registriert. Wir fahren ständig nach Österreich.
Warum können die nicht einfach davon ausgehen, dass wir bezahlen werden?
Es nervt.
Wir erreichen den Rasthof. Dann machen wir eben hier schon unsere 30 Minuten Mittag. Die Fahrgäste sehen’s wenigstens gelassen und drücken mir die Daumen.
Mit klopfendem Herzen gehe ich zur Tankstelle.
Die Dame nimmt die Go-Box entgegen und liest sie aus.
„Sie müssen 24,- Euro nachzahlen“, sagt sie. Sonst nichts. Nichts von „mehr als hundert Kilometer“ nichts von Strafe, nichts von 220,- Euro.
Sollte ich doch noch mal Glück gehabt haben? Ganz sicher bin ich mir da immer noch nicht. Was wenn die Strafe von zentraler Stelle eingefordert wird und sie demnächst per Post kommt? Wenn die Maschinerie des automatischen „Haftbefehl-Versands“ beim Befahren des hundertersten Kilometers schon angelaufen ist? Bei der kleinlichen Erfahrung meiner Kollegin halte ich dies durchaus für möglich. Aber doch für immer unwahrscheinlicher. Es geht mir besser.
Nur: Gegessen habe ich noch gar nichts. Fünfzehn Minuten habe ich noch, inklusive Klo-Gang. Danach soll ich wieder fit, ausgeruht und satt die restlichen drei Stunden bis Wien sicher absolvieren…

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